Es schneite. Schon seit Tagen, unaufhörlich. Grosse dicke Flocken fielen vom grauen Himmel und umhüllten Häuser und Ställe wie ein kalter Schleier. Die Bäume im nahen Wald trugen die Schneelast unerschütterlich, die Tiere hatten sich schon lange in ihre Winterquartiere zurückgezogen. Die Welt war still geworden.
In ihrer Hütte tief im Wald verborgen, sassen die drei Feen am Küchentisch und langweilten sich. Die Bücher in ihrer Stube hatten sie alle von vorne bis hinten und von hinten bis vorne durchgelesen. Butter und Mehl waren aufgebraucht, so viele Weihnachtsguetzli hatten sie gebacken. Ihre diversen Spiele holten sie schon gar nicht mehr aus der Schublade, zu oft hatten sie sich um eine Karte oder eine Spielfigur gezankt.
Die eine Fee kraulte die Katze auf ihrem Schoss, und langweilte sich. Die andere schaute durchs Fenster den Schneeflocken zu, und langweilte sich. Die dritte gähnte und ja, auch sie langweilte sich.
Draussen dämmerte es, aber das bemerkten die Feen gar nicht. Es war ja eh schon den ganzen Tag grau und düster. Überdrüssig und müde zogen sie sich für die Nacht in ihre Zimmer zurück. Keine der drei erinnerte sich daran, dass sie die mächtige Kerze vor der Haustüre nicht angezündet hatten. Die Kerze war wichtig für das Leben im Wald. Sie war ein Wegweiser für die Rehe und Hirsche auf ihrem Weg von und zu den Futterstellen. Sie schien den Elfen den Weg nach Hause, und den Zwergen erhellte sie die Nacht, damit diese die Wege pflegen, und jetzt im Winter vom Schnee freischaufeln konnten.
Den Trollen hingegen gefiel die mächtige Kerze überhaupt nicht. Deren heller Schein sorgte nämlich dafür, dass sie sich nicht verstecken konnten wenn sie Tannzapfen oder Schneebälle auf die Zwerge warfen oder die Elfen auf ihrem Heimweg erschrecken wollten.
Und so, an diesem grauen und düsteren Abend gingen die drei Feen schlafen und vergassen zum ersten Mal, den Lebewesen im Wald mit ihrer Kerze die Nacht zu erhellen.
Die Rehe und Hirsche bemerkten es zuerst. Aber trotz der Dunkelheit machten sie sich auf zu den Futterstellen, in der Hoffnung dort Heu und Gras zu finden.
Für die Zwerge war klar, dass sie raus in die Dunkelheit mussten. Wer sonst würde für Ordnung und Sicherheit auf den Wegen und im Wald sorgen? Widerwillig zogen sie ihre roten Zipfelmützen an, griffen sich ihre Schneeschaufeln und machten sich seufzend auf zur Arbeit.
Die Elfen mochten die dunkle Nacht überhaupt nicht. Aber auch sie mussten ihr Zuhause unter den Felsen verlassen um raus in die Dörfer zu ziehen, damit die Weihnachtsgeschenke rechtzeitig bei den Menschen ankamen.
Für die Trolle hingegen ging ein Traum in Erfüllung. Endlich eine dunkle, rabenschwarze Nacht. Keine helle Kerze, kein Mondschein, nicht einmal ein klitzekleiner Stern war durch das Schneegestöber sichtbar. Genau richtig, für Unfug und lange ausgeheckte Streiche! Übermütig grölend rannten sie aus ihre Höhle ins dichte Schneetreiben, darauf aus, Tiere, Zwerge und Elfen zu necken und zu piesacken.
Die Rehe und Hirsche hatten inzwischen ihre Suche nach Futter aufgegeben, zu mühsam war das Stapfen durch den meterhohen Schnee.
Die Zwerge wussten gar nicht, wo anfangen mit Schneeschaufeln. Vor lauter Weiss erkannten sie ihre Umgebung nicht, fanden sich in ihrem Wald nicht mehr zurecht. Ratlos standen sie auf ihre Schaufeln gestützt im Schnee, und debattierten darüber ob sie ziellos drauflos schaufeln sollten, oder besser einfach nachhause gehen und auf den Frühling warten könnten.
Sie waren noch mitten in ihrer hitzigen Diskussion als sich die Elfen mühselig durch den Schnee zu ihnen durchgekämpft hatten.
Die Elfen hatten extrem schlechte Laune! War ja auch kein Wunder. - Stapft ihr mal durch meterhohen Schnee, schwere Rucksäcke am Rücken, vollgepackt mit Geschenken die nicht mal für euch sind...
Und so standen Zwerge und Elfen mürrisch in der Kälte, motzten und maulten und wurden immer griesgrämiger. Übellaunig machten sie sich gegenseitig Vorwürfe. Ihr Wortgefecht wäre fast in einen regelrechten Streit ausgeartet, als wie aus dem Nichts plötzlich grosse weisse Wesen aus dem Schneetreiben auf sie zukamen. Ganz nahe waren sie schon, als das Gehörn eines der Wesen an die Äste eines Baumes stiess und damit eine kleine Schneelawine auf die Häupter der Zwerge und Elfen auslöste.
Die Elfen kreischten und die Zwerge fluchten. Wild versuchten sie, sich aus den Schneemassen zu befreien, und verbuddelten sich so gegenseitig nur noch mehr im Schneeberg.
Die weissen Wesen erschraken ob dem Geschrei und dem wilden Herumgezappel vor ihnen. Nervös bockten sie und schüttelten ihre Geweihe. Sie schlugen damit an die Äste der nahen Bäume und so wurden die armen Elfen und Zwerge immer und immer wieder vom herunterfallenden Schnee eingedeckt.
Für die grossen und mächtigen Trolle war es ein Leichtes, durch den vielen Schnee zu stapfen. Sie kamen gut vorwärts, trotz der Dunkelheit. Mit grossen Schritten trampelten sie dem Geschrei und Gefluche der Elfen und Zwerge, dem verschreckten Röhren der Tiere entgegen. Sie fragten sich, was da los war und wollten so schnell wie möglich zum Ort des Geschehens. Immer schneller stapften sie durch den hohen Schnee, und immer schneller ging ihr Atem, weil sooo leicht war es dann auch für die Trolle nicht, im Dunkeln die Schneeberge rauf und runter zu klettern.
Endlich beim Lärm angekommen, waren sie völlig ausser Puste, und schnauften und japsten ganz fürchterlich. Mit ihrem Keuchen und Schnauben wirbelten sie den Schnee auf und bliesen damit die herumzappelnden Lebewesen frei.
Aus den weissen Wesen wurden wieder Rehe und Hirsche, und die Elfen und Zwerge schafften es endlich, sich aus den Schneemassen zu befreien. Verdutzt guckten sie um sich, und als sie die Rehe und Hirsche sahen, welche sie für überirdische Wesen gehalten hatten, brachen sie in schallendes Gelächter aus. Auch die Rehe und Hirsche vergassen ihre Angst und hüpften vor Spass und Freude um die Zwerge und Elfen rum. Alle stupften sich gegenseitig an, lachten über sich selber und vor lauter Übermut führten sie einen regelrechten Freudentanz auf.
Die Trolle hatten inzwischen wieder ihren Atem gefunden und schauten dem fröhlichen Treiben mit grossen Augen zu. Sie kannten die Zwerge und Elfen nur als geschäftige, hart arbeitende, und ein bisschen langweilige Wesen. Die Rehe und Hirsche bekamen sie sowieso nur ganz selten zu Gesicht weil diese sich fürchteten und ihnen aus dem Weg gingen. Und so war der Anblick dieser ausgelassenen und übermütigen Schar ein völlig neues Erlebnis für die Trolle. Einen Moment standen sie mit offenen Mündern da und wussten nicht, wie ihnen geschah. Dann plötzlich grinste ein Troll, einem zweiten entfuhr ein Gekicher, und bald lachte die ganze Truppe aus vollem Hals.
Sie lachten so laut, dass man es bis zum Haus der drei Feen hören konnte. Aus ihrem Schlaf geschreckt hasteten sie aus ihren Zimmern und vor die Haustür. Als Erstes erkannten sie, dass ein fröhliches Geräusch sie geweckt hatte. Gleich danach fiel ihnen mit Schrecken auf, dass ihre Kerze nicht brannte und die Nacht stockdunkel war. Rasch holten sie ihre Stiefel und Mäntel, zündeten die mächtige Kerze an, und machten sich in der nun erhellten Nacht auf, den ausgelassenen und seltsamen Geräuschen entgegen.
Als sie in der Lichtung ankamen, trauten sie ihren Augen nicht. Da bauten ein paar Trolle, Hirsche und Zwerge einen riesigen Schneemann. Einige Elfen machten den Trollen vor, wie man im Schnee wunderschöne SchneeEngel erschafft. Andere Zwerge und Trolle lieferten sich eine fröhliche Schneeballschlacht währen Rehe ausgelassen um sie herum tanzten. Es war ein beschwingtes und vergnügliches Beisammensein, als ihnen plötzlich bewusst wurde, dass die Nacht gar nicht mehr dunkel war. Sie sahen sich gegenseitig überrascht an und erkannten, wie lustig und bereichernd das Zusammensein sein konnte, dass sie sich gegenseitig nicht fürchten mussten, sondern im Gegenteil viel voneinander lernen, und sich helfen konnten.
Die Trolle sahen dank ihrer Grösse über die verschneiten Baumwipfel und konnten so den Hirschen und Rehen den Weg zu den Futterstellen weisen. Und weil sie so gross und stark waren fingen sie sogleich an, die Wege im ganzen Wald vom Schnee zu befreien. Die Tiere dankten es ihnen höflich und zogen hungrig und glücklich los.
Ein paar andere Trolle erboten sich, den Elfen zu helfen, die schweren Rucksäcke mit den Geschenken in die Städte zu tragen. Und so wanderten auch die Elfen froh und zufrieden von dannen.
Die übrig gebliebenen Trolle diskutierten mit den Zwergen über eine Schlittelbahn, die sie doch am Waldrand für die Menschenkinder bauen könnten. Voller Tatendrang marschierten sie davon, ihre Schlittelbahn schon vor Augen.
Zurück blieben nur noch die drei verdatterten Feen. War das, was sie gesehen und erlebt hatten ein Traum? Aber nein, sie sahen ja die Spuren im Schnee, die gebauten Schneemänner, die Schnee-Engel, und von Weitem hörten sie noch immer das Gelächter und das Diskutieren der Trolle, Zwerge und Elfen. Sie sahen noch immer den dankbaren und zufriedenen Ausdruck in den Blicken der Rehe und Hirsche.
Sie erkannten, dass diese eine Nacht in der sie vergessen hatten, ihre mächtige Kerze anzuzünden kein schlimmer Fehler sonder ein Segen war. Ihr Versäumnis hatte alle Lebewesen im Wald zusammengebracht und ihnen gezeigt, dass ein friedliches Zusammenleben durchaus möglich ist. Und so gingen auch die drei Feen wieder nach Hause, zurück in ihre warme Hütte.
Sie vergassen nie mehr, die mächtige Kerze anzuzünden. Und auch langweilig war es ihnen nie mehr, zu viel Spass hatten sie zusammen mit den Trollen, den Zwergen und Elfen und den Rehen und Hirschen.
Karin, Mitglied von TAVOLA ROSA
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